Die Schule zu schätzen lernen
- schreibenhilft
- 15. Juni 2020
- 3 Min. Lesezeit
Liebe Mitschüler und Mitschülerinnen!
Elf Wochen lang waren Jugendliche in unserem Alter jetzt zu Hause und haben nur noch per
E-Mail und manchmal über Videokonferenzen mit LehrerInnen kommuniziert. Elf Wochen
haben wir Aufgaben selbst erarbeitet und uns einen eigenen Stundenplan erstellt. Elf
Wochen… das sind 77 Tage und 1848 Stunden! Mann, wie sehr ich doch die Schule nach
so langer Zeit vermisst habe. Das ich so etwas einmal sagen (und auch ernst meinen)
würde, hab ich wahrscheinlich selbst nie gedacht.
Seien wir mal ehrlich: Niemand von uns hat sich um Acht in der Früh hingesetzt und in 50
Minuten langen Einheiten Aufgaben von jedem Fach gemacht, das wir normalerweise an
diesem Wochentag gehabt hätten. Wenn sich jemand jetzt denkt: “Ähm, eigentlich doch…”,
Dann… sorry, aber bist du ein Alien oder so? Also bei mir hat der Tag so begonnen, dass
ich meistens um zehn aufgestanden bin. Dann habe ich meistens gemütlich gefrühstückt,
mich zu meinem Laptop gesetzt und den Kalender von Google Classroom geöffnet. Ja und
dann hab ich mich wieder mal richtig geärgert, weil wir jeden Tag gefühlt zwei Millionen
Aufgaben zu tun hatten - oder eine Aufgabe, die zwei Millionen Stunden lang dauert. Und
dann hab ich gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet und zu Mittag gegessen und
gearbeitet und weiter gearbeitet und - stellt euch vor - irgendwann war ich tatsächlich fertig!
Na gut, sooooo viel haben uns die Lehrkräfte vielleicht nicht einmal aufgegeben, aber wenn
man stundenlang alleine in der eigenen Wohnung sitzt, auf den Laptop starrt und ein Word-
Dokument nach dem anderen ausfüllt, dann reicht es irgendwann. Die Gedanken fliegen wo
anders hin, das Handy ist plötzlich extrem interessant oder man sitzt simpel und einfach an
einer einzigen Frage eine Stunde lang!
Und nicht nur die Lernumgebung war ganz anders, die Inhalte auch. Also jetzt nicht
unbedingt der Stoff, sondern die Menge an Aufgaben pro Fach. Ich meine ja nur, in
manchen Fächern haben wir einfach viel zu viel bekommen - so viel würden wir in der
normalen Schulzeit nie in einer Woche machen - und in anderen Fächern haben wir gefühlt
zwei Aufgaben für eine Woche bekommen. Das ist ja mal ein super Verhältnis, würde ich
sagen. Aber das Problem war ja nicht nur, dass wir teilweise sicher nicht den ganzen Stoff
gemacht haben, der eigentlich bis zum Ende der siebten Klasse vorgesehen war, nein -
wenn man an einem Tag von derselben Lehrperson fünf Benachrichtigungen für neue
Aufgaben bekommt, hat man schon dann keine Lust, sie zu machen. Also noch weniger, als
sonst. Tatsächlich fand ich es aber angenehm, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen
konnte - naja, an den Tagen, an denen ich wegen schlechten Planens sieben oder acht
Aufgaben hatte, war es vielleicht doch nicht so angenehm. Aber im Großen und Ganzen
wurde meine Produktivität doch gesteigert, indem nicht stundenweise zu bestimmten
Aufgaben gezwungen wurde, sondern mir selbst aussuchen konnte, was ich jetzt machen
wollte. Das ist allerdings das einzig positive, das mir jetzt zum Homeschooling einfällt. Also,
ganz ehrlich: Das einzige, das mir wirklich fehlen wird, ist das Ausschlafen.
Wenn jetzt irgendjemand daherkommt und meint, die Kinder in naher Zukunft könnten ja
genauso den Regelunterricht haben dann… wow, mein Beileid. Klar, wozu Lehrer, wozu
Mitschüler. Die sind ja eh nicht wichtig. Die Unterrichtsart von Lehrern und LehrerInnen
macht sehr viel aus und ich habe es wirklich vermisst, wie einige von unseren Lehrpersonen
uns den Stoff näherbringen. So etwas kann man nur teilweise oder gar nicht durch Videos
ersetzen, und genauso leidet auch der sonst regelmäßige Kontakt zu Mitschülern darunter.
Mit jemandem chatten ist etwas anderes, als mit der Person jeden Tag im gleichen
Klassenraum zu sitzen - da geht auch schon mal der Kontakt verloren. Eine Sache können
sich die Lehrkräfte aber mitnehmen, finde ich. In elf Wochen öfter als in den elf Jahren zuvor
wurde ich darum gebeten, Feedback an die Lehrer zu geben, und das fand ich großartig. Ich
will damit jetzt nicht sagen, dass alle Lehrer die ganze Zeit um Rückmeldung bitten und alles
dann so ändern sollen, wie es die Schüler wollen. Aber ich denke schon, dass die meisten
von uns gerne konstruktive Rückmeldung geben und dass man das eher macht, wenn man
darum gefragt wird und nicht, wenn man es von selbst ansprechen muss. Das ist doch so,
oder nicht? Ich glaube auch, dass das eine gute Orientierung für manche Lehrer und
LehrerInnen sein kann, die gerade neue Unterrichtsmethoden oder Ähnliches ausprobieren.
Ja, ich habe die Schule echt vermisst und ich habe so einiges zu schätzen gelernt: Den
Unterricht, in dem man buchstäblich drinnen sitzt, den Kontakt zu MitschülerInnen und
LehrerInnen, die halbwegs gleichmäßige Stundeneinteilung durch den Lehrplan. Am Ende
habe ich nur eine Bitte, und die richtet sich ans Bildungsministerium. Wenn es sich nicht um
eine Ausnahmesituation handelt: Bitte, bitte lasst die Kinder in der Schule! Ersetzt unsere
Klassenräume nicht durch Laptops und Zoom-Meetings. Ach, und noch eine. Wehe, ihr
verkürzt die Sommerferien. Corona-Ferien hin oder her, ich habe diese elf Wochen lang
genauso viel gehackelt wie sonst!
Danke fürs Zuhören!
{Fiona Walatscher}

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