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Die Schule zu schätzen lernen


Liebe Mitschüler und Mitschülerinnen!

Elf Wochen lang waren Jugendliche in unserem Alter jetzt zu Hause und haben nur noch per

E-Mail und manchmal über Videokonferenzen mit LehrerInnen kommuniziert. Elf Wochen

haben wir Aufgaben selbst erarbeitet und uns einen eigenen Stundenplan erstellt. Elf

Wochen… das sind 77 Tage und 1848 Stunden! Mann, wie sehr ich doch die Schule nach

so langer Zeit vermisst habe. Das ich so etwas einmal sagen (und auch ernst meinen)

würde, hab ich wahrscheinlich selbst nie gedacht.

Seien wir mal ehrlich: Niemand von uns hat sich um Acht in der Früh hingesetzt und in 50

Minuten langen Einheiten Aufgaben von jedem Fach gemacht, das wir normalerweise an

diesem Wochentag gehabt hätten. Wenn sich jemand jetzt denkt: “Ähm, eigentlich doch…”,

Dann… sorry, aber bist du ein Alien oder so? Also bei mir hat der Tag so begonnen, dass

ich meistens um zehn aufgestanden bin. Dann habe ich meistens gemütlich gefrühstückt,

mich zu meinem Laptop gesetzt und den Kalender von Google Classroom geöffnet. Ja und

dann hab ich mich wieder mal richtig geärgert, weil wir jeden Tag gefühlt zwei Millionen

Aufgaben zu tun hatten - oder eine Aufgabe, die zwei Millionen Stunden lang dauert. Und

dann hab ich gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet und zu Mittag gegessen und

gearbeitet und weiter gearbeitet und - stellt euch vor - irgendwann war ich tatsächlich fertig!

Na gut, sooooo viel haben uns die Lehrkräfte vielleicht nicht einmal aufgegeben, aber wenn

man stundenlang alleine in der eigenen Wohnung sitzt, auf den Laptop starrt und ein Word-

Dokument nach dem anderen ausfüllt, dann reicht es irgendwann. Die Gedanken fliegen wo

anders hin, das Handy ist plötzlich extrem interessant oder man sitzt simpel und einfach an

einer einzigen Frage eine Stunde lang!

Und nicht nur die Lernumgebung war ganz anders, die Inhalte auch. Also jetzt nicht

unbedingt der Stoff, sondern die Menge an Aufgaben pro Fach. Ich meine ja nur, in

manchen Fächern haben wir einfach viel zu viel bekommen - so viel würden wir in der

normalen Schulzeit nie in einer Woche machen - und in anderen Fächern haben wir gefühlt

zwei Aufgaben für eine Woche bekommen. Das ist ja mal ein super Verhältnis, würde ich

sagen. Aber das Problem war ja nicht nur, dass wir teilweise sicher nicht den ganzen Stoff

gemacht haben, der eigentlich bis zum Ende der siebten Klasse vorgesehen war, nein -

wenn man an einem Tag von derselben Lehrperson fünf Benachrichtigungen für neue

Aufgaben bekommt, hat man schon dann keine Lust, sie zu machen. Also noch weniger, als

sonst. Tatsächlich fand ich es aber angenehm, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen

konnte - naja, an den Tagen, an denen ich wegen schlechten Planens sieben oder acht

Aufgaben hatte, war es vielleicht doch nicht so angenehm. Aber im Großen und Ganzen

wurde meine Produktivität doch gesteigert, indem nicht stundenweise zu bestimmten

Aufgaben gezwungen wurde, sondern mir selbst aussuchen konnte, was ich jetzt machen

wollte. Das ist allerdings das einzig positive, das mir jetzt zum Homeschooling einfällt. Also,

ganz ehrlich: Das einzige, das mir wirklich fehlen wird, ist das Ausschlafen.

Wenn jetzt irgendjemand daherkommt und meint, die Kinder in naher Zukunft könnten ja

genauso den Regelunterricht haben dann… wow, mein Beileid. Klar, wozu Lehrer, wozu

Mitschüler. Die sind ja eh nicht wichtig. Die Unterrichtsart von Lehrern und LehrerInnen

macht sehr viel aus und ich habe es wirklich vermisst, wie einige von unseren Lehrpersonen

uns den Stoff näherbringen. So etwas kann man nur teilweise oder gar nicht durch Videos

ersetzen, und genauso leidet auch der sonst regelmäßige Kontakt zu Mitschülern darunter.

Mit jemandem chatten ist etwas anderes, als mit der Person jeden Tag im gleichen

Klassenraum zu sitzen - da geht auch schon mal der Kontakt verloren. Eine Sache können

sich die Lehrkräfte aber mitnehmen, finde ich. In elf Wochen öfter als in den elf Jahren zuvor

wurde ich darum gebeten, Feedback an die Lehrer zu geben, und das fand ich großartig. Ich

will damit jetzt nicht sagen, dass alle Lehrer die ganze Zeit um Rückmeldung bitten und alles

dann so ändern sollen, wie es die Schüler wollen. Aber ich denke schon, dass die meisten

von uns gerne konstruktive Rückmeldung geben und dass man das eher macht, wenn man

darum gefragt wird und nicht, wenn man es von selbst ansprechen muss. Das ist doch so,

oder nicht? Ich glaube auch, dass das eine gute Orientierung für manche Lehrer und

LehrerInnen sein kann, die gerade neue Unterrichtsmethoden oder Ähnliches ausprobieren.

Ja, ich habe die Schule echt vermisst und ich habe so einiges zu schätzen gelernt: Den

Unterricht, in dem man buchstäblich drinnen sitzt, den Kontakt zu MitschülerInnen und

LehrerInnen, die halbwegs gleichmäßige Stundeneinteilung durch den Lehrplan. Am Ende

habe ich nur eine Bitte, und die richtet sich ans Bildungsministerium. Wenn es sich nicht um

eine Ausnahmesituation handelt: Bitte, bitte lasst die Kinder in der Schule! Ersetzt unsere

Klassenräume nicht durch Laptops und Zoom-Meetings. Ach, und noch eine. Wehe, ihr

verkürzt die Sommerferien. Corona-Ferien hin oder her, ich habe diese elf Wochen lang

genauso viel gehackelt wie sonst!

Danke fürs Zuhören!



{Fiona Walatscher}







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