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Leichtigkeit, Einfachheit und eine gewisse Naivität

Das eiskalte Wasser, es scheint niemals wärmer zu werden, ganz egal wie lange ich meine Hände darunter halte. Das eiskalte Wasser, das aus den alten und brüchigen Rohren des Schulgebäudes aus dem Wasserhahn fließt. Erbarmungslos ist es genau zu dem Zeitpunkt kalt, wenn man es warm haben möchte. Und umgekehrt. Im Sommer ist es warm. Das einstürzende Metall der Spinde in dem Klassenraum. In jedem Klassenraum. Regelmäßig, in der Pause oder mitten im Unterricht, erschallt das laute und erschreckende Zusammenbrechen eines weiteren Spindes.

Die Gitter, die die Atmosphäre eines Gefängnisses erschaffen. Sie versperren die Fenster und machen die Möglichkeit, Flucht zu ergreifen, unmöglich.

Das Schreien von Erst-, Zweit-, Drittklässlern in jeder freien Minute. Das Lachen von Viert-, Fünft-, Sechstklässlern. Das gähnende Schweigen von Siebt-, Achtklässlern.

Das alles sind Dinge, die ich nicht erlebe. Nicht jetzt und nicht hier zumindest. Sonst immer. Fünf Tage der Woche, dreiunddreißig Stunden pro Woche, vierzig Wochen im Jahr. Viel Zeit.

Viel Freizeit habe ich jetzt. Ist die Zeit frei, nur weil ich nicht in das Gebäude mit dem eiskalten Wasser, mit den einstürzenden Spinden, mit den Gittern vor den Fenstern und dem Schreien, Lachen und Schweigen der Jugendlichen, gehe?

Nein. Die Zeit ist gefüllt mit Nostalgie, selbst Erinnerungen, die erst vor einem Monat entstanden sind, scheinen so weit entfernt. Bilder die vor zwei Wochen gemacht wurden sind verstaubt in meinem Kopf. Kontakt mit den Menschen, mit denen ich seit acht Jahren, jeden Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag verbracht habe, ist so gut wie eingestellt. Denn über was soll man reden? Über die aktuelle Situation? Die neuesten Zahlen, die Todesfälle, die Intensivpatienten oder die immer noch geringe Zahl an durchgeführten Testungen?

Es ist von einem auf den anderen Tag ernst geworden. Ernster als ich dachte. Ich vermisse die Leichtigkeit. Ich vermisse die Einfachheit. Dinge, die eigentlich so irrelevant sind, waren noch vor einem Monat relevant. Alles kam anders als erwartet. Das vermisse ich am meisten. Die Gewissheit über das, was morgen geschehen wird. Heute verändert sich alles innerhalb einer Sekunde. Ich weiß nicht ob ich morgen noch hinaus darf, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich habe mir nie Gedanken machen müssen.

Leichtigkeit, Einfachheit und eine gewisse Naivität. Das ist was ich vermisse.


{Mia Juster}





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