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Sortieren...

Heute ist Samstag. Eigentlich ist heute nichts anders als an jedem anderen Samstag des Jahres. Wir stehen auf. Wir machen Frühstück. Wir entspannen, um nach der anstrengenden Woche ein bisschen Ruhe zu finden. Es könnte so einfach sein, sich in diesem Gefühl zu verlieren, denn draußen vor dem Fenster ziehen dichte Wolken vorbei. Der Himmel ist düster. Es wird jeden Moment zu regnen beginnen. Ich nehme einen Schluck von meinem Soja-Latte (dank des Barista-Kurses vor ein paar Wochen, kann ich behaupten, ihn mittlerweile halbwegs gut selbst hinzubekommen). Es ist ein Tag, an dem man nicht unbedingt die Wohnung verlassen muss. Und an jedem anderen Samstag würde dieser Gedanke nicht Wehmut und Unruhe wecken. Es ist eine Eigenart von uns Menschen, immer das zu begehren, das wir (im Moment) nicht haben können. An jedem anderen Samstag würde ich die Gemütlichkeit meiner eigenen Wände der Kälte draußen vorziehen. Ich würde ein bisschen arbeiten, mir ein gutes Buch (jeder von uns hat sie noch im Schrank; die ungelesenen Schätze!) aussuchen und die nächsten Stunden einfach im Nichtstun versinken. Was ist heute so anders? Heute weiß ich, dass ich drinnen bleiben muss. Heute weiß ich, dass ich mich nicht mit Freunden treffen soll. Heute weiß ich, dass ich nicht spontan zu meinem Lieblings-Hipster-Kaffee-Hotspot ums Eck eilen kann (weil der Kaffee dort eben doch tausendmal besser ist, als er aus meiner eigenen Maschine kommt). Und da ist sie wieder. Die Unruhe. Die Wehmut.


Ist es wirklich erst eine Woche her, dass sich unsere Leben (vielleicht auch hauptsächlich anhand unserer Gedankengänge) geändert hat? 7 Tage - 168 Stunden - 10.080 Minuten - 604.800 Sekunden. Und im Vergleich zu dem, was im Moment in der Welt passiert, ist das nichts. Es gibt bis dato weltweit mehr Tote, als ich Minuten in der Selbstisolation verbracht habe. Demgegenüber ist es eine kleine Einschränkung, daheim zu bleiben - weniger für sich selbst, als für all die Menschen, die man damit schützen kann.


Wie habe ich nun die letzten Tage, Stunden, Minuten, Sekunden genutzt? Ich habe sortiert. Täglich. Und ich bin noch immer dabei. Es scheint ein endloser Prozess zu sein, der in manchen Stunden willkommene Ablenkung bietet und in anderen nur noch drastischer aufzeigt, was gerade passiert.


Und in manchen Momenten verstehe ich tatsächlich die Leute, die die letzten Tage draußen im Sonnenschein verbracht haben, die sich am Donaukanal (der nur wenige Schritte von hier entfernt ist), in die Sonne gesetzt haben und sich dort mit Freunden getroffen haben. Ja, es weckt meinen Frust davon zu hören, aber auch in ureigenes Grundverständnis. Dieser Virus ist für uns nicht greifbar. Wir hören in den Medien von Restriktionen. Wir verfolgen, wie kleine Unternehmen um ihre Existenz ringen. Wir hören Zahlen, immer nur Zahlen, die zwar in einer erschreckenden Geschwindigkeit steigen, aber in vielen Augen auch nur das sind: Zahlen. Was uns fehlt, ist ein Gesicht zu den Zahlen. Viele von uns haben keine persönlichen Bezüge dazu - und denken nicht an diejenigen, denen es vielleicht anders ergeht. Die Situation ist absolut nicht begreifbar: Wir sehen, riechen, fühlen diesen Virus nicht. Es ist keine schwarze Wolke, vor der wir flüchten könnten. Und wir wissen nicht, ob wir ihn in uns tragen und in somit verbreiten könnten.


Und das ist einer der Gründe, weshalb wir drinnen bleiben m ü s s e n, in der Geborgenheit der eigenen vier Wände, die so plötzlich - noch viel mehr als zuvor - zum Mittelpunkt unseres Lebens wurden. Und während ich doch wehmütig aus dem Fenster schaue (Meinen Schreibtisch habe ich mittlerweile aus der Ecke des Raums direkt unter die Flügelfenster geschoben - so sehe ich jetzt zumindest nicht die weiße Wand an, sondern das gegenüberliegende - nunmehr leere - Bürogebäude), sortiere ich. Ich sortiere Wichtiges und Banales. Meinen Kleiderschrank (banal!). Den Vorratsschrank (gar nicht mal so banal!). Das Schulmaterial (wichtig!). Meine E-Mail-Kontakte (im Moment besonders wichtig!). Ich sortiere Unterrichtsmaterial in Ordnern auf meinem Computer (verfluche dabei nicht nur einmal meinen ausschweifenden Hang zur Unordnung), um zwischen Arbeitsaufträgen für distance learning und Präsenzunterricht zu unterscheiden. Und dabei merke ich, wie sehr mir gerade dieses „distance learning“ wehtut. Ich vermisse meine Schüler und Schülerinnen. Jeden einzelnen. Die Unterrichtsstunden und die Pausen, die erfüllt von Gesprächen waren. Und für einen Moment pausiere ich mein Sortieren und öffne meinen E-Mail-Ordner und da sehe ich sie: Die Nachrichten, die so zahlreich schon eingetrudelt sind. Und es sind nicht nur Arbeitsaufträge, die ich entdecke. Es sind Fotos, Alltagsgeschichten. Nachfragen, wie es mir geht. Und ja. Sie bringen mich alle zum Lächeln, weil ich merke, dass das distance learning zwar physisch vorhanden ist, aber wir doch noch alle in einem Boot sitzen - und uns alle gar nicht so fern sind, wie wir in manchen Stunden der Selbstisolation wahrscheinlich glauben mögen. Und dann verspüre ich das wohl wertvollste aller Gefühle: Dankbarkeit. Dafür, dass wir den Kontakt nicht verlieren. Wann habe ich zuletzt so viel telefoniert? Mit Verwandten und Freunden. Wir planen weiter: Spielabende (Videotelefonie sei dank!) zum Beispiel. Und ich bin dankbar für all die Menschen, die alles daran setzen, das Leben weiterhin funktionieren zu lassen: Apotheker und Apothekerinnen, Ärzte und Ärztinnen, Verkäufer und Verkäuferinnen, Pflegekräfte, Arbeiter und Arbeiterinnen bei Post, Müllabfuhr und im Bereich der Energie- und Wasserversorgung. Und auch das sind nur einige, denen wir tagtäglich unsere Gedanken und unseren Dank spenden sollten (sei es zum Beispiel beim Applaudieren um 18:00 Uhr).


Und jetzt langsam merke ich - insbesondere, da ich diese Gedanken aufschreibe - dass mein Sortieren noch lange kein Ende gefunden hat. Zwar mag meine Wohnung (und mein Laptop) langsam wieder zu mehr Ordnung finden. Doch da gibt es noch etwas, das ich in den letzten Tagen nicht gewagt habe zu sortieren: Meine Gedanken. Und das ist einerseits schmerzhaft, weil es viele Ängste weckt und auch ein gewisses Gefühl von Leere, weil es auf Vieles noch keine Antwort gibt. Wie wird es mit Veranstaltungen in der Schule weitergehen, in denen viel Planungsprozess steckt (Schulball! Abschlusswoche mit meiner 4.!). Was passiert mit Festen (Hochzeiten! Meiner!)? Wie sieht es mit (zum Glück erst in der Vorphase) geplanten Reisen (Indien! Marokko! Namibia!) aus? Und andererseits weckt diese Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken, das Sortieren von eben diesen, auch Hoffnung. Auf die Zeit danach, auf ein neues Miteinander. Es wird Lösungen geben, da bin ich mir sicher. Wir werden alle gestärkt aus dieser für uns neuartigen Situation hervorgehen. Es wird neue Möglichkeiten und Chancen geben. Und zuletzt wird uns der frische Duft nach Sommer im Freien wieder einholen. Atem wir tief durch. Und halten uns an diesem Gefühl fest.


{Sandra Kainz}



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